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DIPLOMARBEIT

Gemeinschaft und Vereinsamung
in Einrichtungen der stationären Altenhilfe

0. Vorbemerkung

0.0. Vorbemerkung

1. Einleitung

1.1. Einleitung

2. Grundlagen

2.1. Bewohner in Einrichtungen der stationären Altenhilfe 2.2. Forschungsstand 2.2.1. Allgemeine Studien, die auch den Aspekt der sozialen Kontakte von Bewohnern und der Möglichkeiten der Verbesserung der Kontakte in Einrichtungen der stationären Altenhilfe untersuchen 2.2.2. Studie zu sozialen Netzwerken bei Altenheimbewohnern und dem damit verbundenen Vereinsamungsrisiko 2.2.3. Gerontopsychologische Studien zum Zusammenhang von psychischen Erkrankungen und der Bedeutung sozialer Kontakte zu anderen Heimbewohnern 2.2.4. Soziologische Ansätze zur Rolle der Institution, unter Bezugnahme auf das Modell der totalen Institution 2.2.5. Zusammenfassung 2.3. Theoretischer Teil 2.3.1. Altersbilder 2.3.2. Alter und Einsamkeit 2.3.3. Das Modell der totalen Institution und seine Anwendbarkeit 2.3.4. Die Rolle des Heimbewohners

3. Untersuchungsdesign

3.1. Fragestellung der Untersuchung und Forschungsansatz3.2. Methodische Einordnung der Untersuchung und Problematik
3.2.1. Beschreibung der angewandten Erhebungsmethode - das narrative Interview
3.2.2. Vorgehensweise bei der Erhebung der Daten 3.2.2.1. Die Einrichtungen der stationären Altenhilfe 3.2.2.2. Die Befragungspersonen 3.2.2.3. Das Interview 3.2.3 Vorgehensweise und Problematik bei der Auswertung der gewonnen Daten 3.2.4. Kritische Betrachtung der Erhebungsmethode

4. Darstellung der Ergebnisse: Ursachen von Einsamkeit bei Heimbewohnern

4.1. Personenbedingte Faktoren 4.1.1. Schlechter Gesundheitszustand, insbesondere Einschränkung der Mobilität 4.1.2. Kurze Aufenthaltsdauer 4.1.3. Fehlende bzw. unbefriedigende außerinstitutionelle Sozialkontakte, insbesondere Mangel an Freunden 4.1.4. Kinderlosigkeit bzw. schlechtes Verhältnis zu den Kindern 4.1.5. Antizipation des erfolglosen Ausgangs von Beziehungen durch Tod / Motivationsverlust 4.1.6. Mangel an sozialen Kompetenzen, insbesondere aufgrund fehlender Erfahrungswerte 4.1.7. Orientierung der Wahrnehmung an negativen Erfahrungen (Zurückweisung) mit anderen Heimbewohnern und Schutz vor Kränkung 4.2. Heimstrukturell bedingte Faktoren 4.2.1. Unwissenheit und falsche Vorstellungen über Demenzerkrankungen 4.2.2. Kritischer Ablauf des Heimübergangs 4.2.3. Unpassende Freizeit- und Aktivitätsangebote und Interesselosigkeit 4.2.4. Umgang des Personals nicht oder kaum intervenierend / Asymmetrie der Beziehung & Einfluss auf das Rollenverständnis der Bewohner 4.2.5. Mangel an Kontroll- und Entscheidungsmöglichkeiten / Ineffizienz des Heimbeirats / Keine Vorstellung der eigenen Mitspracherechte 4.2.6. Mangel an Aufgaben und Verantwortung 4.2.7. Ungleiche Alters- und Geschlechterverteilung als Vorwand für Desinteresse 4.3. Umweltbedingte Faktoren 4.4. Die Anpassung an die Heimsituation

5. Diskussion

5.1. Zusammenfassung der Ergebnisse und Diskussion der Problemstellung 5.2. Empfehlungen / Interventionsmöglichkeiten

6. Fazit und Ausblick

6.1 Fazit und Ausblick

7. Literaturverzeichnis

7.1 Literaturverzeichnis

8. Anhang

8.1. Interviewleitfaden 8.2. Graphik zur Faktorenkonstellation 8.3. Übersicht über Interventionsmaßnahmen

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4. Darstellung der Ergebnisse:
Ursachen von Einsamkeit bei Heimbewohnern

4.1.7. Orientierung der Wahrnehmung an negativen Erfahrungen (Zurückweisung) mit anderen Heimbewohnern und Schutz vor Kränkung

Das Verhalten anderer Heimbewohner wird oft als Zurückweisung und Kränkung erlebt, das Scheitern an der Verwirklichung von Beziehungswünschen in den Reaktionen der anderen begründet gesehen. Die Wahrnehmung vieler Heimbewohner scheint sich eher an negativen Erfahrungen zu orientieren und behindert eigene Initiativen, deren erfolgloser Ausgang schon antizipiert wurde. Das Gefühl, ausgeschlossen und unerwünscht zu sein, von den anderen abgewertet und nicht akzeptiert zu werden, äußert sich häufig in der Tendenz, selbst mit Abwertung und Abgrenzung zu reagieren. Schutz vor Kränkung wird dann in Rückzug und Verleugnung der eigenen Wünsche nach Freundschaft und Austausch gesehen.

Das persönliche Kontaktverhalten wird nicht nur durch die Charaktereigenschaften, sondern auch durch die Biographie eines jeden Menschen geprägt. Im Besonderen kommt dabei den unterschiedlichen individuellen Erfahrungen der Bewohner, die bei diversen zwischenmenschlichen Begegnungen im Laufe ihres Lebens gesammelt wurden, eine besondere Rolle zu. Zum Beispiel, wenn ein Heimbewohner schon einmal schlechte Erfahrungen dabei gesammelt hat, weil er jemanden um Hilfe gebeten hat, dann wird dieser es sich überlegen, ob er beim nächsten Problem wieder jemanden um Hilfe bitten wird. Das Vertrauen in die Mitmenschen ist verletzt und potentiell vorhandene Rückzugstendenzen werden möglicherweise verstärkt. Vertrauen ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sich intensivere Kontakte entwickeln können.


   

Das Eingehen von ausschließlich oberflächlichen Kontakten zu den Mitbewohnern kostet kaum Aufwand und bietet gleichzeitig möglicherweise Schutz vor enttäuschenden Erfahrungen, da durch die Unverbindlichkeit der Kontakte keine Vertrauensbasis gebrochen werden kann. Durch den Verzicht der Bewohner, in eine vertrauensvolle Beziehung investieren zu wollen, sehen diese aber auch gleichzeitig von den Leistungen, die enge informelle Beziehungen mit sich bringen, ab. Die von uns befragten Bewohner pflegen überwiegend oberflächliche Kontakte zu ihren Mitbewohnern, womit sie keine sozialen Verpflichtungen eingehen müssen. Im folgenden Beispiel wird deutlich, dass sich Heimbewohner überwiegend passiv verhalten, sich von den Mitbewohnern abgrenzen und von ihren Interaktionspartnern nichts erwarten und auch nichts fordern.

"Nee; (2) ich weiß ähhh ich weiß wie die Menschen denken, wenn man se äh um Hilfe bittet ja. (.) Die tun dit machmal, aber dit machen nicht gerne, denn frag- denn frage ich lieber schon gar nich." (7. Interview)

Schlechte Erfahrungen, die ein Heimbewohner aus einigen Begegnungen mit anderen Bewohnern gesammelt hat, können auch dazu führen, dass vorschnell pauschalisiert wird und negative Erfahrungen auf alle Heimbewohner projiziert werden. Das führt dazu, dass dieser Bewohner sich zurückzieht und wahrscheinlich keinen weiteren Versuch unternehmen wird, einen anderen Bewohner näher kennen zu lernen, da die eigene negative Einstellung dem anderen gegenüber einer spontanen Annäherung gegenüberstehen würde.

Im folgenden Interviewausschnitt wird deutlich, dass die Bewohnerin bestimmte Bewohner bzw. den Kontakt zu ihnen ablehnt, da sie deren Verhalten und deren Einstellung nicht teilt. Realistisch betrachtet basiert die Bildung von Einstellungen bestimmten Menschen gegenüber, die man nicht intensiver kennen gelernt hat, auf Vorurteilen und auf Erfahrungen, die wiederum nur auf kurze zufällige Begegnungen der Bewohner zurückzuführen sind. Wir nehmen an, dass auch im Besonderen diese Bewohnerin das Gefühl hat, von den anderen Bewohnern ausgeschlossen zu werden und reagiert im Gegenzug mit abwertigen Äußerungen betreffend der Mitbewohner und grenzt sich dadurch selbstständig aus. Selbst hinter dem geschilderten Kompliment der Mitbewohner wird ein persönlicher Angriff vermutet, welches sie jedoch scheinbar als Kritik an ihrer Sehschwäche interpretiert.

"(.) da gibt es ja auch Frauen, wo ich ihnen nur sagen, die sehr unsympathisch sind und die finden natürlich so schnell nicht Anschluss, die alles besser wissen oder die über alles meckern oder sonst was. Oder sich jede Woche über irgendwas beschweren gehen. Sie finden immer was. Aber wenn die mich ansprechen. Ich entschuldige hier alles bei mir mit meinem nicht sehen können, das ich so schlecht sehe. Die sagen mir immer, wenn wir im Fahrstuhl sind: Ach, Frau S. sie haben so hübsche Augen. Ja sage ich. Das weiß ich. Sehe sehr hübsche Augen. Die hübschen Augen können bloß nicht gut sehen. Ich kann doch nicht so ein Schild um den Hals tragen: Sehe schlecht. Da hat schon eine im Anfang gesagt: Frau kann ja nicht mal grüßen, wenn sie Früh runter kommt. Ich sage: meine liebe Dame ich grüße 500-mal und rufe es nach allen Himmelsrichtungen, aber ich komme nicht und mache bei ihnen noch ein Kniefall. Ich sehe nämlich schlecht. Aber da brauche ich mich wohl nicht entschuldigen bei ihnen. Die hat. Die quatscht mich nicht mehr an. Wissen sie, man muss dann sich diese Leute vom Leibe halten, weg, weg. Die stänkern." (1. Interview)

Zum Beispiel solche Erfahrungen und die damit zusammenhängenden Interpretationen der Bewohner bewirken, dass sich die Einstellungen gegenüber den anderen Bewohnern nicht besonders verbessern. Eher tragen diese dazu bei, dass die Heimbewohner sich stärker zurückziehen, um sich selbst von den Mitbewohnern abgrenzen und einer Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Angriff der anderen entgehen zu können. Dadurch vermeiden sie, den Wunsch nach intensiveren Kontakten den Mitbewohnern aber vor allem sich selbst gegenüber einzugestehen.

"Bei mir gibt's nicht gegenseitige Besuche und in die Wohnung latschen. Das brauche ich nicht. Ich hab so ein reiches Innenleben. Ich beschäftige mich mit mir selber. Außerdem läuft mein Rundfunk den ganzen Tag, wenn ich auch nicht gucken kann oder nur einen Teil sehe, aber ich brauche. Wissen sie in Köln war ich in einem Kreis von Kollegen auch, da gab es Gespräche." (1. Interview)

Wenn die Mehrheit der Bewohner tatsächlich dazu neigt, sich von den Mitbewohnern abzugrenzen und überwiegend nur oberflächliche Kontakte zuzulassen, verwundert es nicht, dass die Bewohner ihre Mitbewohner als interesselose und initiativlose Personen wahrnehmen, obwohl die Mehrheit der Bewohner sich daran stört und sich engere und intensivere Kontakte wünscht. Es ist zu vermuten, dass wahrscheinlich kaum intime oder intensivere Gespräche miteinander geführt werden. Zum einen, weil meistens die Zeit der Kontakte zu kurz ist und zum anderen, weil dies ein öffentliches Interessenbekunden am Gegenüber darstellen würde, was zudem noch ein aktives Verhalten bezüglich der Gesprächsführung erfordern würde. Dadurch vermuten wir, dass die Bewohner nur von sich und bevorzugt vom eigenen Krankheitsbild berichten, ohne dabei wirklich auf die Bedürfnisse des Gesprächspartners zu achten oder Gesprächsthemen zu wählen, in denen nicht so viel über die eigene Person verraten werden muss, sondern die sich auf alltägliche Gegebenheiten beziehen. Der Smalltalk stellt unserer Ansicht nach aber auch eine vorteilhafte Kommunikationsmethode dar, da durch unverbindliche und einfache Themen sich ein Gespräch leichter in Gang setzen lässt.

"Is is is so, ja ja, et is so, ähhhh, die Leute sind hier irgendwie untergebracht, dass sie natürlich ähhh nicht mehr so unterhaltungsfreudig sind, wie jüngere Leute. Ist auch klar. Und die Themen, um was es sich dreht dat sind ja meistens immer dieselben. Dat is um Essen, dat is um trinken und dat is so wa die alltäglichen Themen Krankheit und Wetter. Dat is diese drei Themen. Wetter, Krankheit und Essen dat sind die Hauptthemen. Ich habe das miterlebt scho-, ö ö ich erlebe das auch immer wieder. (2) Ähhhh ich (lacht) dat is eigenartig, andere Themen existieren nicht mehr und die sind ja auch zufrieden damit die meisten Leute. (2) Das ist für mich nun wieder so ein bisschen schwierig. Ich kann mich nicht nur von Wetter reden und von Krankheit. Ich brauch ein bisschen Unterhaltung. Und wenn alte Leute- jeder hat so gewisse Erlebnisse, wenn man davon spricht dit is doch schon etwas anderes als wie die TÄGLICHEN Sachen wie hier. Essen, Trinken und so weiter, ja. Aber wir sind unterschiedlich, wir Menschen, alle sind se unterschiedlich. Den einen gefällt dat so und andre. Hauptsache er ist zufrieden. Ist mit seinem Leben zufrieden, ja. Ich nicht, ick bin nicht damit zufrieden. (.) (7. Interview)

Dieser Bewohner lebt bereits seit langer Zeit im Heim, aber auch hier ist es dem Bewohner nicht möglich, trotz der klaren Formulierung seiner Kontaktwünsche, diese den Mitbewohnern dazulegen und durch ein aktives Verhalten dazu beizutragen, seine Bedürfnisse zu erfüllen. Stattdessen bleibt er passiv und sitzt seine Situation mehr oder weniger aus. Denn es erscheint schwer vorstellbar, dass unter den 300 Mitbewohnern kein geeigneter Gesprächspartner zu finden ist.

Die Unzufriedenheit des Bewohners resultiert unserer Meinung nach nicht aus den Konservationsvorlieben der Mitbewohner (bspw. dem Smalltalk), sondern das eigentliche Problem stellt hier der Rollenkonflikt des Bewohners dar. Die Heimbewohner können sich häufig nur schwerlich mit der Rolle des Heimbewohners arrangieren. Die Bewohner sehen in ihrem Mitbewohner den Inhaber dieser sozialen Rolle, die sie für sich selbst nicht annehmen möchten, aber mit dem Heimeinzug wird ihnen diese Rolle gewollt oder nicht zugeschrieben. Aus dieser Unfreiwilligkeit resultiert in der Regel der Konflikt mit der eigenen Rolle. Die Bewohner versuchen sich von ihrer Rolle zu distanzieren, indem sie versuchen, sich von den anderen Bewohnern abzugrenzen. Zu diesem Zweck versuchen sich die Bewohner selbst, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, so psychisch agil, so vielfältig interessiert und so aktiv wie möglich zu präsentieren. Sämtliche Erwartungen die mit der Heimbewohnerrolle verbunden sind, werden, da es sich ausschließlich um negative Aspekte handelt, stets auf die anderen Bewohner, aber in der Regel nicht auf sich selbst bezogen.

Die Bewohner sammeln täglich Erfahrungen, die auf die kurzen oberflächlichen Zusammentreffen zurückzuführen sind und die häufig mit der Empfindung einhergehen, von den anderen ausgegrenzt zu werden. Obwohl sie das selbst zum Teil verletzt, ist es schwer, sich das Gefühl des Ausgegrenztseins einzugestehen. Daher versuchen sie, sich ebenfalls von den Mitbewohnern abzugrenzen. Die Schuld für die unbefriedigende Kontaktsituation wird also immer an die Mitbewohner weiterdeligiert. Dieser Teufelskreis wird nur von wenigen durchbrochen, wobei eine aktive Verhaltensweise und eine klare Artikulationen der eigenen Wünsche bei diesem Vorhaben sehr vorteilhaft sind, aber diese Voraussetzungen waren nur bei einer Minderheit der von uns befragten Bewohner zu beobachten.



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Autorinnen:   Juliane Hanisch-Berndt  &  Manja Göritz | Impressum